Dr. Jörg Gerke: Zahlen und Fakten zur ostdeutschen Bodenpolitik

Vortrag am 26.03.2014 in Güstrow – Handout

Die ostdeutsche Bodenpolitik nach 1990

Der Fall Mecklenburg-Vorpommern

PD Dr. Jörg Gerke

Die ostdeutschen Agrarstrukturen sind fast 25 Jahre nach dem Mauerfall durch nichts so bestimmt wie durch die bodenpolitischen Entscheidungen.

Dies gilt in besonderem Maße für Mecklenburg-Vorpommern (M-V), wo die öffentliche Hand anfangs über weit mehr als 50 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche verfügte, die letztlich aus der „Bodenreform“ stammte. Noch 1994 verwaltete die Bodenverwertungs- und Verwaltungsgesellschaft (BVVG) mehr als 440.000 ha, das Land M-V selbst war im Jahr 2003 Eigentümer von mehr als 90.000 ha. Zum Bodeneigentum der öffentlichen Hand kommt noch in erheblichem Umfang das kommunale Eigentum.

Welche strukturellen Effekte wurden mit der Verfügung über diese Flächen beabsichtigt und bewirkt? In Bezug auf die BVVG hat die Bundesregierung im Jahr 2012als Antwort auf eine kleine Anfrage informative Daten veröffentlicht (Tab. 1).

Tabelle 1. Verpachtung von BVVG-Flächen an unterschiedliche Betriebsgrößen zum 1.1.2010 in ganz Ostdeutschland und in Mecklenburg-Vorpommern, Angaben in Hektar. (Anteil an der gesamten Fläche in %). [Anteil der Betriebe an den gesamten Betrieben in M-V in %]

 

bis 100 ha

100 – 250 ha

250 – 500 ha

500 – 1.000 ha

über 1.000 ha

Gesamt-fläche
Mecklenburg-Vorpommern

1.638  (1,5%)

7.375 (6,7%)

15.143  (15,0%)

25.621  (23,0%)

60.882 (55%)

110.659

Betriebsgrößen-verteilung MV

[52%]

[14,9%]  

[14,9%]

[10,9%]

[7,2%]

 

Ostdeutschland 

5.779 (2,0%)

20.807 (7,2%)

35.541 (12,3%)

71.038 (24,0%)

154.873 (53,8 %)

288.038

Aus : Bundestagsdrucksache 2012/85174, Auszug; Statistisches Amt M-V 2010, Auszug

Folgende Sachverhalte lassen sich aus Tabelle 1 ablesen. Die von Betrieben bis       100 ha bewirtschaftete BVVG-Fläche ist mit 1,5% in M-V und 2,0 % in ganz Ostdeutschland gering. In M-V haben  52% der Betriebe, nämlich die bis 100 ha fast keine BVVG- Flächen zum Stichtag gepachtet. Dagegen haben 7,2% der Betriebe, diejenigen mit über 1000 ha, 55% der BVVG Flächen gepachtet. Die Situation ist in ganz Ostdeutschland ähnlich, wobei die Bevorteilung der Großbetriebe in M-V noch ausgeprägter ist.

Da die ostdeutschen Bundesländer für die Verpachtung der BVVG-Flächen des Bundes verantwortlich sind- die zuständigen Pachtkommissionen waren bei den Ämtern für Landwirtschaft  oder den Landkreisen angesiedelt -muß von einer vergleichbaren Bevorzugung der großen Betriebe bei der Verpachtung der Landesflächen ausgegangen werden.

Kleine und mittelgroße Betriebe konnten nach der Wende nicht gegründet werden oder konnten vom Nebenerwerb nicht in den Haupterwerb wechseln, weil sie von der Verpachtung weitgehend ausgeschlossen waren.

Die Verpachtung bestimmte kurz- und mittelfristig die agrarstrukturelle Entwicklung. Was aber bedeutete die Verpachtung für die langfristige Entwicklung?

Auch dazu hat die Bundesregierung nach einer kleinen Anfrage im Bundestag im Jahr 2012 Informationen gegeben (Tab. 2).

Tabelle 2. Verkäufe landwirtschaftlicher BVVG- Flächen von 1992 bis einschließlich 2011 in Hektar (Bundestagsdrucksache 2012/846085, Auszug)

Verbilligt (nach EALG)

zum Verkehrswert

 

an Pächter

 

an Alteigentümer

 

an Pächter

nach allgem. Ausschreibung

nach beschränkter Ausschreibung

371.051

20.436

262.384

44.455

5.519

 

Die Pächter haben seit 1992 im Direktverkauf mehr als 90% der verkauften BVVG- Flächen erworben, vorbei an Ausschreibungen oder beschränkten Ausschreibungen, also zu subventionierten Kaufpreisen. Da Pächter der BVVG-Flächen die Großbetriebe waren und sind, ist der Ausschluss kleinerer und mittlerer Betriebe nicht nur kurzfristig, sondern langfristig angelegt. Und dies mit hohen Subventionen. Noch 2010 verpachtete die BVVG bei langfristigen Pachtverträgen zu im Mittel 150 €/ha und Jahr, rund ein Drittel des Verpachtungspreises auf dem freien Markt. Ein nur geringfügig höheres Pachtpreisniveau für Landesflächen hat der hiesige Landwirtschaftsminister für M-V vor Kurzem bekannt gegeben. Die Verkaufspreise der BVVG für den EALG-Verkauf lagen lange Zeit für hochwertige gut arrondierte Flächen in M-V bei unter 2.500 €/ha, während auf dem freien Bodenmarkt solche hochwertigen, arrondierten Flächen nahezu nicht zu erwerben waren, oder bei Preisen von 10.000 €/ha oder mehr lagen.

Durch diese Form der BVVG-Verpachtung und der Verpachtung der Landesflächen ist die mittelständische bäuerliche Landwirtschaft von diesen Subventionen weitgehend und gezielt ausgeschlossen worden. Es sind Eigentumsstrukturen geschaffen worden, deren Konzentration heute schon die Verhältnisse vor 1945 weit übertreffen. Dabei bewirtschaften in M-V mittlerweile die 341 Betriebe über 1000 ha Größe mehr als 40% der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Ursache für diese Entwicklung ist die solcherart betriebene „Bodenpolitik“, verbunden mit einem System an EU-Agrarbeihilfen, das diese Beihilfen allein an den Umfang des Bewirtschaftungsrechtes für landwirtschaftliche Flächen bindet.

Diese Entwicklung hat nichts mit einem marktwirtschaftlichen Strukturwandel gemein, sie ist durch die gezielte, hohe Subventionierung von Großbetrieben in Ostdeutschland und in M-V in besonderem Ausmaß bestimmt. Und es sind erst recht nicht „Gewachsene Strukturen“ die in Ostdeutschland in der Landwirtschaft anzutreffen sind. Dies ist nur eine leere Phrase von ostdeutschen Agrarministern und Bauernverbandsfunktionären.

Der Bürgerrechtler in der ehemaligen DDR und Agrarwissenschaftler Michael Beleites hat zu dem Begriff „Gewachsene Strukturen“ treffend formuliert: „Gewachsen sind die Besonderheiten der ostdeutschen Agrarstrukturen ganz und gar nicht. Sie verdanken sich der blanken Gewalt und den flächendeckenden Zwangsmaßnahmen einer menschenverachtenden Diktatur. Die Bodenreform (1945/46), die Kollektivierung (1952-60) und die Industrialisierung (1970er Jahre) waren drei Teile desselben Plans und sie dienten einem zentralen Ziel der kommunistischen Ideologie: Der kompletten Auslöschung des Berufsstandes der freien Bauern“ (Beleites, 2012, Leitbild Schweiz oder Kasachstan. Hamm).

Die ostdeutsche Bodenpolitik nach 1990 ist die Fortsetzung dieser Politik.

Angesichts der Sachlage und der statistischen Daten ist es nur noch skurril, wenn der seit 1998 in M-V amtierende Landwirtschaftsminister vor einigen Jahren in einer Landtagsrede unwidersprochen behaupten konnte, daß er sich für die breite Eigentumsstreuung eingesetzt habe.

Was aber sind die Folgen der ostdeutschen Bodenpolitik?

  1. Wenige Agrargroßbetriebe beherrschen in einem immer größeren Ausmaß die Dörfer und ländlichen Regionen. Dabei sind diese Betriebe vorwiegend auf extensive Produkte wie Mais und Druschfrüchte spezialisiert.

 

  1. Bäuerliche Landwirtschaft, also eine verantwortliche, über Generationen nachhaltige Landwirtschaft wird immer weiter zurückgedrängt, landwirtschaftlich geprägte Dörfer verschwinden oder werden zu agrarindustriellen Einheiten. Der Greifswalder Geograph Prof. Dr. Klüter hat diese Entwicklung als Bildung von Wüstungen charakterisiert.

 

  1. Flächenbezogene hohe Wertschöpfung in der Landwirtschaft ist eine Folge von Tierhaltung, Anbau von Hackfrüchten wie Kartoffeln oder Gemüse und einer intensiven kundennahen Vermarktung, wie der Direktvermarktung. Dies leisten bäuerliche Betriebe und nicht extensive Großbetriebe.

 

  1. Der Ausverkauf der Landwirtschaft in Ostdeutschland an externe, ortfremde Investoren ist eine Folge der ostdeutschen Bodenpolitik. Es wurden große Betriebe geschaffen, die Flächen von der öffentlichen Hand teilweise nahe dem Nulltarif erworben haben. Diese sind das Ziel externer Investoren, nicht aber kleine bäuerliche Betriebe. Deswegen gibt es den Ausverkauf in Ostdeutschland; in Westdeutschland dagegen gibt es keinen vergleichbaren Prozess.

 

Für weitere Informationen zu diesem Thema: ostdeutsche.bodenpolitik.de

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